Neptun und Amphitrite thronen auf einem von Hippokampen gezogenen muschelförmigen Wagen. Neptun umfasst Amphitrites Schultern mit seiner Linken, in der Rechten hält der den Dreizack. Während das Paar in gegenseitigem, innigem Anblick zu verharren scheint, werden sie von ihrem Gefolge aus Nereiden und Tritonen in umso lebhafterem Spiel umringt. Das Motiv geht auf ein Gemälde aus einer Serie von Allegorien der vier Elemente zurück, die der französische Maler Louis de Boullogne d. J. (1654–1733), Akademie-Direktor und Premier Peintre du Roi (ab 1725), zu Beginn des 18. Jahrhunderts geschaffen hatte. Während der Verbleib der Gemälde seit dem frühen 19. Jahrhundert unbekannt ist, sind Boullognes Kompositionen durch erhaltene Vorzeichnungen (Département des Arts graphiques, Louvre, Paris) und vier Kupferstiche überliefert. Sie erschienen in Paris zwischen 1718 und 1721 bei Louis Desplaces (1682–1739), der selbst die Elemente „Feuer“ und „Wasser“ ausführte. „Luft“ und „Erde“ wurden von Charles Dupuis (1685–1742) gestochen.
Das vorliegende Blatt ist als vorbereitende Zeichnung für die Ausführung der Allegorie des Wassers im Kupferstich anzusehen, wurde eventuell gar für die Übertragung auf die Platte genutzt. Die Ausrichtung des Kupferstichs im Gegensinn, sowie Maßstabs- und Detailtreue von Zeichnung und Druck sprechen dafür; erkennbar sind auch die teils deutlich nachgefahrenen Konturen der Figuren. Aufgrund des prekären Zustands des Blattes wurde es zu einem unbekannten Zeitpunkt von der Rückseite her mit Buchseiten verstärkt. Das Verso der Zeichnung und etwaige Spuren der Übertragung dort sind somit nicht mehr zu erkennen. Auf der Trägerpappe wurde das Blatt dem etwa zwei Generationen jüngeren Maler François Boucher (1703–1770) zugeteilt – eine Zuschreibung, die durch die Identifizierung des Motivs hinfällig wird.
Bei den im Louvre erhaltenen Zeichnungen Louis de Boullognes handelt es sich um Entwürfe und Studien für die Gemälde der vier Elemente, besonders zahlreich sind jene für die Allegorie des Wassers (Guicharnaud 1985). Sie wurden auf blauem Papier in Kohle mit Weißhöhungen ausgeführt und weisen beim Vergleich mit dem Blatt in der Sammlung Haupt nur minimale Unterschiede, wie beispielsweise in den Physiognomien der Tritonen auf (z.B. inv. 24854, 24855, 24860). Trotz der unterschiedlichen Technik ist eine stilistische Nähe zur vorliegenden Zeichnung durchaus festzustellen. Da auf dem Kupferstich die am Schaffensprozess Beteiligten präzise ausgewiesen sind und Boullogne zwar als Inventor und Maler, nicht aber als Zeichner genannt wird, ist anzunehmen, dass das Blatt in der Sammlung Haupt nicht von seiner Hand stammt. Durchaus vorstellbar aber ist, dass dem Zeichner die Skizzen Boullognes für die Anfertigung dieses Blattes zur Verfügung standen.